Leitartikel BMW 43

Jo Soppa - Chefredakteur MO

Jo Soppa

Neue GS und alte Schule

Fortschritt geht mitunter merkwürdige Wege. Eine Erklärung für nicht immer schlüssig konzipierte Neuheiten ist einfach: Nur die Suche nach der sinnvoll besseren Lösung alleine genügt schon lange nicht mehr. Der Fortschritt muss plakativ sein, und er muss dem Kunden als erstrebenswerte Neuerung einleuchten. Entscheidend ist aber ein ganz anderer Aspekt: Das Neue muss für den Hersteller in der Produktion kostengünstiger als das Alte sein.
Ein schönes Beispiel aus der Motorrad­branche ist etwa das Instrumentencockpit. Früher waren das einmal recht aufwändige elektro-mechanische Konstrukte. Präzisionsgelagert, mit feinen Federchen, Schräubchen und Deckelchen. Die Fertigung ein einziger, weil ungemein sensibler Albtraum mit hohem Anteil an Handarbeit. Dazu war das fertige Bauteil durch das vibrationsgeschüttelte Motorrad extrem defektanfällig. Heute dagegen findet man im Motorradcockpit nur noch handtellerflache Kunststoffboxen. Wasserfest ver­siegelt, darin eine winzige Leiterplatte, die ­auto­matisiert mit Mikrobauteilen bestückt worden ist. Die Anzeigen übernehmen zuverlässige Leuchtdioden und große Flüssigkristall-Displays. Jede Menge Zusatzfunktionen sind auf kleinstem Raum realisierbar. So sieht Fortschritt aus.
Kritiker werden an dieser Stelle einwenden: Alles schön und gut, dafür waren die alten Analog-Cockpits besser ablesbar. Stimmt, und genau deshalb sind ja klassische Zeigerinstrumente im Fahrzeugbau vom technischen Fortschritt noch nicht ganz vom Tisch gefegt worden.
Lange Einleitung für unser ureigenes BMW-Thema: die neue GS. Auch sie ein Kind des Fortschritts, denn die Neue ist mit einem wasser­gekühlten Boxermotor ausgestattet. Das bedeutet zunächst einmal: mehr Bauteile. Denn neben den Wasserkühlern braucht es Schläuche, Thermostat, Wasserpumpe, Temperatursensor und diverse Schlauchschellen. Auf der anderen Seite lässt sich aber der bisherige, sehr große Ölkühler ein­sparen. Auch sonst ist der neue Wasser-Boxer ganz auf Teilereduktion ausgelegt. Separate Zylinder gibt es nicht mehr, sie sind in die Gehäusehälften mit eingegossen. Auch das angedockte Getriebe mit Einscheibenkupplung ist Schnee von gestern. Jetzt gibt es eine Monoblock-Bauweise, wie man sie in den meisten Motorrad-Konstruktionen seit 1945 pflegt.
Warum man aber jetzt für den neuen Boxer überhaupt eine Wasserkühlung braucht, wo doch seine Zylinder bestmöglich in den kühlen Fahrtwind ragen, erklärt Ihnen GS-Fan Maik Schwarz ab Seite 12. In seinem ausführlichen Report erfahren Sie alles über den anlässlich der Intermot in Köln neu präsentierten BMW-Dauerbrenner.
Am typischen Erscheinungsbild der GS hat sich zur Freude – oder zum Leidwesen – der Interessenten kaum etwas geändert. Klar ist deshalb, dass die Neue auch weiterhin als großes, stattliches Motorrad in der Garage stehen wird. Vielen BMW-Freunden, die von der Statur her nicht mit den Klitschkos in den Ring steigen könnten, ist das alles schon eine Spur zu dick aufgetragen.
Zeigen, was man hat. Der Fortschritt manifestiert sich gerne in leistungsstärkeren, größeren und auch schwereren Fahrzeugen. Weil ein „kleiner“ Boxer definitiv nicht kommen wird, orientieren sich viele Liebhaber des bayerischen Flachtwins mehr und mehr in Richtung der älteren Zweiventil-­Modelle. Damals waren nicht nur die Leistungs-Eckdaten geringer, auch die Abmessungen er­scheinen aus heutiger Sicht geradezu schmä­chtig. Und die alten Boxer lassen sich dank schrauberfreundlichem Baukastensystem prima nach eigenen Wünschen umbauen. Immer wieder er­staunlich, was da unter dem Überbegriff „Scrambler“ so alles geht. Lassen Sie sich im großen Eigenbau-Spezialteil inspirieren.

Womit ich Sie nun zu einem faszinierenden Kontrastprogramm rund um den BMW-Boxer einladen darf. Neu und alt, stark und frech. Überraschungsmomente sind garantiert.
Viel Vergnügen mit Heft Nummer 43 von „BMW Motorräder“, dem Sondertitel aus dem MO Medien Verlag.

 

Mit sportlichem Gruß
Jo Soppa (Chefredakteur)

 

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